Entwurf Aufruf „Etwas Neues wagen, um zu gewinnen.“

Ein Entwurf für einen möglichen Aufruf an die Hamburger Politik. Zur weiteren Diskussion. V1 vom 23.03.2020

„Etwas Neues wagen, um zu gewinnen.“

Hamburg in der Klimakrise

Wo wir in Hamburg im Februar 2020 in Sachen Klimakrise stehen

Die Klimakrise ist in Hamburg ganz oben auf der politischen Tagesordnung angekommen. Klimaschutzgesetz, Klimaplan und die Begrenzung der Erderwärmung als Verfassungsauftrag wurden noch kurz vor der Bürgerschaftswahl im Februar 2020 verabschiedet.

Nur: Klimaplan und Klimaschutzgesetz des alten Senats reichen klar erkennbar nicht aus, die selbst gesetzten Ziele zu erreichen. Und die gesetzten Ziele bleiben deutlich hinter den Empfehlungen der Klimawissenschaft, den Appellen der UN und den Forderungen von Fridays for Future zurück.

Die Hamburger Politik und der neu zu bildende Senat laufen damit nicht nur Gefahr, bei der notwendigen Verringerung der CO2-Emissionen zu scheitern. Sie versäumen es auch, den Risiken des bevorstehenden Strukturwandels zur kohlenstoffarmen Wirtschaft und Gesellschaft wirksam zu begegnen. Und sie verspielen die Chancen auf eine lebenswerte und wirtschaftsstarke Stadt, die in einer zukunftsgewandten Klimapolitik stecken.

Was wir von der Hamburger Politik erwarten

1) Politik als Prozess zur Entwicklung wirksamer Lösungen

Aus Sicht von Politikwissenschaft und Transformationsforschung ist die Klimakrise eine Herausforderung, die mit Ordnungsrecht, Maßnahmenkatalogen und technischen Lösungen alleine nicht zu bewältigen ist. Schon bei der Einschätzung der Klimakrise sind die Unterschiede groß, bei der Aushandlung von Lösungswegen treffen erst recht unterschiedliche Wahrnehmungen, Interessen und Werte aufeinander. Und viele Lösungen kennen wir heute noch nicht.

Die Klimakrise verlangt daher neue Politikansätze, die Vertracktheit und systemischen Charakter der Klimakrise in den Blick nehmen. Politikansätze, die sich darauf konzentrieren, experimentell Lösungen zu entwickeln und auszuprobieren, in Netzwerken mit Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu arbeiten, Bürger*innen schon bei der Lösungsentwicklung zu beteiligen und zielgerichtet Innovationen zu fördern. Eine Politik, die den so entwickelten guten Lösungen zum Durchbruch in der Fläche verhilft und zum neuen Normal macht – indem sie dem Markt eine klare Richtung vorgibt und, wo nötig, schwierige Entscheidungen fällt, die ausgehandelt und gesellschaftlich akzeptiert werden.

Erste Beispiele für experimentelle und vernetzte Politikansätze sind in Hamburg zu finden, wie etwa Reallabore, Stadtwerkstätten, Projekte wie „Klimafreundliches Lokstedt“ und „Ottensen macht Platz“ – und die Kooperation in der Metropolregion. Diese Ansätze müssen strategisch ausgebaut und ergänzt werden und aus ihrer Nische in den Kernbereich von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft rücken.

2) Institutionen, die den Transformationsprozess voranbringen

Erfahrungen aus Transformationsprozessen in Wirtschaft und Verwaltung zeigen übereinstimmend: nur mit starken Institutionen, die den Wandel von Strukturen, Verhaltensweisen und technischen Lösungen mit klarem politischem Mandat, kompetent und vernetzt vorantreiben, ist ein Erfolg überhaupt denkbar. Die neuen Politikansätze müssen klug vorbereitet, umgesetzt und laufend weiterentwickelt werden. Derzeit haben Klimaschutzgesetz und Klimaplan genau in Hinblick auf relevante Institutionen eine entscheidende Leerstelle.

Wir sehen ein mögliches Modell für Hamburg in einer robust ausgestatteten Transformationsagentur in Form einer städtischen Gesellschaft. Die politische Mandatierung erfolgt über den Aufsichtsrat, Beiräte binden Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein, Spiegelreferate sorgen für die Anbindung der Behörden. Eine kleines, bewegliches Team in der Agentur ist verantwortlich für ein Klima-Innovationsprogramm, Formate der Bürger*innenbeteiligung, behörden- und akteursübergreifende Kooperationen, Kommunikation und Erfolgskontrolle.

Auch mit diesem Modell hat Hamburg Erfahrungen: bei der Ausrichtung der Internationale Bauausstellung (IBA) und der Entwicklung der Hafencity.

Ein weiteres Modell erprobte Ole von Beust bereits vor 15 Jahren: er machte Klimaschutz zur Chefsache und stattete die Leitstelle Klima in der Senatskanzlei mit einem Jahresbudget von 25 Mio Euro aus.

3) Ein Ziel, das mobilisiert und den Weg weist

Wir halten das Ziel, 2035 in Hamburg klimaneutral leben und arbeiten zu können, für angemessen, vernünftig und vermittelbar. Es entspricht den Empfehlungen der Klimawissenschaft. Es bringt den notwendigen Strukturwandel in den Blick. Und es mobilisiert die Kräfte und die Phantasie, die wir zur gemeinsamen Gestaltung der Wege aus der Klimakrise brauchen.

Uns ist bewusst, dass das Ziel der Klimaneutralität nicht allein in den den Grenzen der Stadt erreicht werden kann. Gerade darum erwarten wir, dass die Hamburger Politik Klarheit über den Hamburger Beitrag herstellt. Und wir erwarten, dass Hamburg in Bündnissen regional, national und international für die Bedingungen kämpft, das Ziel eines klimaneutralen Hamburgs in 2035 erreichen zu können.

Was wir einbringen werden

Wir werden als Einzelpersonen, Unternehmen, Wissenschaftliche Einrichtungen, Stiftungen, Initiativen und Verbände nach Kräften zur gemeinsamen Gestaltung der Wege aus der Klimakrise beitragen.

Wir werden nicht nachlassen, von den Hamburger Parteien, der Bürgerschaft und dem Senat einzufordern, den von Ihnen zu erbringenden strukturellen und politischen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise zu leisten.

Und wir werden für die Lösung der Klimakrise die Stärken der Hansestadt Hamburg zur Wirkung bringen: ihre Wissenschaft, ihr kulturelles Leben, ihre Unternehmen – vor allem aber ihre Bürgerinnen und Bürger.

„Hanseaten werden hier gegenwärtig dringend gebraucht.“

Denn im erfolgreichen Bewältigen von Strukturkrisen hat Hamburg Erfahrung. Helmut Schmidt überschrieb 1984 in der Zeit seinen Brief an die Hamburger*innen mit „Hamburg muss neu anfangen“ und meinte die damalige Strukturkrise der Hamburger Wirtschaft und der „Schornstein-Industrien“.

Helmut Schmidt lenkte den Blick darauf, dass Hamburg nur im Verbund der norddeutschen Länder erfolgreich sein könne, nahm die Unternehmen in die Pflicht, den Strukturwandel anzugehen, und die Politik, Orientierung und Hilfestellung zu geben.

Heute steht der Strukturwandel zu einer Stadt an, in der wir 2035 klimaneutral leben und arbeiten können. Ein attraktives Ziel, und es gilt damals wie heute: „Hanseaten werden hier gegenwärtig dringend gebraucht, will heißen: Menschen, die etwas Neues wagen, um zu gewinnen!“

Entwurf Stand 23.2.2020